Montag, 12. August 2013

Ein bisschen Science-Fiction...

Zentrale Ermittlungsstelle zur Erfassung und Aufklärung von sozialem Unrecht und von Verstößen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit
 
Protokoll über die Anhörung des Herrn Knut Radler, ehemals Fallmanager im Jobcenter Hoch-Heimingen, aufgezeichnet am 12.08.2023
 
 
Anwesende:  
                     Sozialhauptkommissar Kuhlmann (Befrager)
                                            Sozialoberkommissar Wilke (Befrager und Protokollführer)
       Polizeiobermeister Kruse (Aufsicht)
     Herr Knut Radler (zu Befragender)
 
Beginn der Befragung: 10:05 Uhr
 
SHK Kuhlmann:
Herr Radler, Sie waren vom 01.05.2006 bis zur Auflösung der Bundesagentur für Arbeit sowie sämtlicher ihr unterstehenden Stellen kurz nach der politisch-gesellschaftlichen Wende im Frühjahr diesen Jahres im Jobcenter Hoch-Heimingen als bis dahin als solcher bezeichneter Fallmanager tätig. Wie Ihnen zuvor bereits schriftlich als auch mündlich erläutert wurde, werden Ihnen folgende, im Rahmen der Ausübung dieser Tätigkeit begangene Straftaten zur Last gelegt: Nötigung, Willkür im Amt, Missachtung elementarer Grundrechte der Ihnen anvertrauten Menschen sowie fahrlässige Tötung. Bitte nehmen Sie zu diesen Vorwürfen Stellung.
 
Herr Radler:
Ehrlich gesagt, Herr Kommissar, ich weiß eigentlich gar nicht, was ich hier überhaupt soll. Ich habe mich in den gesamten knapp 17 Jahren im Jobcenter Hoch-Heimingen bei all meinen Entscheidungen, die ich als Fallmanager zu treffen hatte, strikt an die seinerzeit für meinen Aufgabenbereich geltenden Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften gehalten. Wie man daraus nun diese hanebüchenen Vorwürfe ableiten kann, das ist mir nun wirklich vollkommen schleierhaft.
 
SHK Kuhlmann:
Also bitte, Herr Radler, gerade Sie in Ihrer Funktion hätten wohl wissen können, ja wissen müssen, dass auch in jener Zeit alle Gesetze und weiteren Rechtsvorschriften in keinem einzigen Punkt gegen die im Grundgesetz eindeutig aufgeführten Grundrechte verstoßen durften. Und das zumindest weite Teile gerade des SGB II klare Verstöße gegen diese Grundrechte beinhalteten, das dürfte wohl mittlerweile unbestritten sein.
 
Herr Radler:
Herr Kommissar, ich bitte Sie. Meinen Sie ernsthaft, mir und meinen damaligen Kollegen und Kolleginnen hätte es zugestanden, das SGB II samt Inhalten auf seine Verfassungsmäßigkeit zu prüfen? Uns kleinen Lichtern innerhalb der BA stand sowas schon mal allein aufgrund unserer fehlenden juristischen Ausbildung ja wohl überhaupt nicht zu (lacht). Und wo kämen wir denn hin, wenn jeder Mitarbeiter die seiner Tätigkeit zugrunde liegenden gesetzlichen Bestimmungen vor jeder Entscheidung erst noch ausführlich auf seine Kompatibilität mit dem Grundgesetz abklopfen würde (schüttelt mit dem Kopf)?
 
SOK Wilke:
Nun, es gab auch damals schon hinreichend Möglichkeiten, sich auch außerhalb des eigenen Dienstzimmers entsprechend ausführlich zu informieren, wenn man denn wollte natürlich nur. Das Wort "Internet" ist Ihnen aber schon ein Begriff, oder?
 
Herr Radler (belustigt):
Ja glauben Sie denn, ich hätte nach Feierabend nichts Besseres zu tun gehabt, als mir irgendwo im Internet irgendwelche schwammigen Abhandlungen über die Verfassungsmäßigkeit des SGB II rauszuklamüsern? Abends war ich einfach immer nur platt, und außerdem hat man ja auch noch ein Familienleben, nicht wahr? Und ob das SGB II nun in Teilen Grundrechte beschnitten oder verletzt hat oder nicht, darüber hatten nun mal andere die Deutungshoheit und nicht ich oder meine Kollegen. Und nun kommen Sie endlich mal zum Punkt. Was genau soll Ihre Vorwürfe gegen mich überhaupt rechtfertigen?
 
SHK Kuhlmann:
Tja, Herr Radler, aufgrund der uns zahlreich vorliegenden, von Ihnen verfassten, unterschriebenen und an Ihre, damals so genannten, Kunden verschickten dienstlichen Schreiben sowie den Aussagen von uns bereits befragter ehemaliger Kunden von Ihnen sahen wir uns eindeutig dazu veranlasst, die Ermittlungen hinsichtlich der erwähnten Vorwürfe gegen Sie einzuleiten.
 
Herr Radler:
Das ist ja wohl alles nur ein schlechter Scherz, oder?
 
SOK Wilke:
Nein, Herr Radler, lustig ist das alles garantiert nicht. Dann wollen wir jetzt einfach mal konkret werden: Schon das erzwingen einer Unterschrift unter die Eingliederungsvereinbarung mittels Androhung von Sanktionen stellte damals und stellt auch heute bereits eine Grundrechtsverletzung dar, nämlich der Vertragsfreiheit.
 
Herr Radler:
Das sind doch juristische Haarspaltereien.
 
SOK Wilke:
Das mögen vielleicht Sie so sehen und wohl auch manche Ihrer ehemaligen Kollegen und Kolleginnen, Ihre ehemaligen Kunden hingegen wohl eher nicht. Dann hätten wir da noch das ebenfalls durch Sanktionsandrohung erzwungene Hineinpressen ihrer Kunden in Leih- und Zeitarbeit und andere nur geringfügig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse. Mal abgesehen davon, dass beides eindeutig den Tatbestand der Nötigung in vielen hundert Fällen über die Jahre hinweg erfüllt, wurde durch dieses Hineinpressen außerdem noch das Grundrecht auf freie Berufs- und Arbeitsplatzwahl verletzt.
 
Herr Radler:
Na Sie sind ja lustig. Was hätte ich denn sonst machen sollen? Es gab doch außer diesen keine regulären Stellen mehr weit und breit! Und was meinen Sie wohl, was für einem Druck von oben jeder einzelne von uns ausgesetzt war? Die oben, die wollten immer nur positive Zahlen von uns geliefert bekommen, die sie dann an die hohen Herrschaften im Ministerium weiterleiten konnten. Da bist du als kleiner Fallmanager froh über jeden Kunden, den du irgendwo parken kannst. Da ist es einem letztlich völlig egal, wie, wo und für wie lange! Glauben Sie, ich hätte Lust gehabt, mich auf einmal auf der anderen Seite vom Tisch wiederzufinden? Das hätte nämlich auch für mich ruckzuck gehen können, wenn ich nicht regelmäßig die gewünschten Zahlen geliefert hätte.
 
SHK Kuhlmann:
Im verhängen von Sanktionen gegen Ihre Kunden waren Sie ebenfalls recht aktiv, wie man so lesen und hören konnte.
 
Herr Radler:
Das musste nun mal sein. Sie glauben ja gar nicht, mit was für Vögeln man es da manchmal so zu tun bekam. Einige musste man dann eben entsprechend disziplinieren und sich die sozusagen erziehen. Ganz schlimm waren übrigens immer diese Oberschlauen mit höherer Schulbildung und nach Möglichkeit noch irgendwelchen Diplomen in der Tasche. Mal ehrlich, selbst wenn die vorher schon 30 Jahre oder länger irgendwo beschäftigt waren, richtig gearbeitet haben die doch im Grunde genommen auch noch nie so wirklich, oder? Diese Klugscheißer hatten meine Kollegen und ich jedenfalls ganz besonders gefressen. Denen haben wir aber ganz schnell klar gemacht, wer jetzt das Sagen hat und ans richtige arbeiten gebracht haben wir die auch. Da hatten wir ja durchaus so unsere betriebsinternen Mittel und Wege für (zwinkert SHK Kuhlmann mit einem Auge zu).

SOK Wilke:
Mehreren hundert Kunden von Ihnen haben Sie während Ihrer 17-jährigen Tätigkeit im Jobcenter Hoch-Heimingen im Rahmen von Sanktionsmaßnahmen die Leistungen gekürzt. In 45 Fällen wurde es sogar für 3 Monate auf Null gekürzt. Gemäß Grundgesetz jedoch stand und steht noch immer ausnahmslos jedem Menschen hierzulande, auch im Hinblick auf den Bezug staatlicher Transferleistungen, ein gleichzeitig die Menschenwürde als auch das Existenzminimum gewährleistendes Einkommen zu. Durch eine Leistungskürzung wird dieses menschenwürdige Existenzminimum allerdings zum Teil deutlich unterschritten bzw. bei Kürzung auf Null überhaupt nicht mehr gewährleistet. Also auch hier ein klarer Grundrechtsverstoß.

Herr Radler:
Ich sagte ja bereits, dass sich über solche Dinge andere einen Kopf hätten machen müssen. Es gab hierzu aber zu keiner Zeit eindeutige Urteile des Bundesverfassungsgerichts, soweit mir das bekannt ist. Und es kann doch selbst heute allen Ernstes niemand von uns kleinen Fallmanagern erwarten, dass ausgerechnet wir bei all dem Druck von oben und dem enormen Arbeitspensum so quasi nebenbei noch Verfassungswächter gespielt hätten.

SHK Kuhlmann:
12 Ihrer Kunden haben nach so einer von ihnen verfügten Auf-Null-Sanktionierung Ihre Wohnungen wegen infolgedessen vom Jobcenter nicht mehr gezahlter Mieten durch Zwangsräumung verlassen müssen. 3 davon sind dauerhaft obdachlos geworden und in den darauffolgenden Wintern erfroren. Acht weitere Sanktionierte haben jeweils wenige Tage nach Erhalt Ihres Schreibens Suizid verübt. Da wären wir dann bei dem Vorwurf der fahrlässigen Tötung in 11 Fällen.

Herr Radler (heftig erregt):
Also das ist ja jetzt ein ganz starkes Stück! Wie hier nach der politischen Frühjahrswende mit Leuten, die einfach nur ihre Arbeit gemacht haben, umgegangen wird, das ist schon allerhand! Ich wiederhole es gern noch mal: Ich habe mich bei all meinen Entscheidungen stets an die für meinen Bereich gültigen Gesetze und Vorschriften gehalten! Jede von mir verhängte Sanktion und auch alles andere entsprach vollkommen dem jeweils gültigen Recht. Und es gehörte nicht zu meinen Aufgaben, da irgendwas eigenmächtig rein oder raus zu interpretieren.

SOK Wilke:
Ihnen ist auch in einer stillen Stunde nicht einmal der Gedanke gekommen, dass diese 11 Todesfälle in direktem Zusammenhang mit den von verhängten Sanktionen stehen könnten?

Herr Radler (empört):
Sagen Sie mal, spinnen Sie jetzt komplett? Nochmal: Ich habe mich auch bei den Sanktionen ausschließlich an bestehendes Recht gehalten! Und noch was: Stehen Sie mal unter so einem enormen Dauerdruck, nach oben hin immer wieder die dort erwartet guten Zahlen liefern zu müssen!
Das diese Typen wegen meiner Sanktionen damals erfroren sind oder sich deswegen um die Ecke gebracht haben, das ist jedenfalls vollkommen ausgeschlossen! Das ist doch wohl offensichtlich, oder etwa nicht?(schaut dabei abwechselnd zu SHK Kuhlmann und SOK Wilke)
Und ich kann schon mal gar nicht in die Köpfe anderer Menschen sehen! Ich konnte darum selbst beim besten Willen nicht wissen, ob mir da nun einer gegenüber sitzt, der auch mal eine ein bisschen härtere Gangart vertragen kann, oder so ein kleines Sensibelchen, das noch zusätzlich vielleicht nicht mehr alle Latten am Zaun hat. Außerdem hätten die sich ja vorher überlegen können, wie sie sich mir gegenüber zu verhalten haben, dann wären sie auch nicht sanktioniert worden.
Glauben Sie etwa, mir hätte das sanktionieren eine innere Freude bereitet oder mir vielleicht gar Lustgefühle beschert? Nein, Nein, meine Herren, ich habe nichts weiter getan als das, wofür ich vom Jobcenter eingestellt und wofür ich dann letztlich auch bezahlt wurde. Und das stets innerhalb der geltenden Rechtsnormen. Ich habe mir jedenfalls absolut nichts vorzuwerfen! Und ein schlechtes Gewissen lasse ich mir von Ihnen schon gar nicht einreden!

SHK Kuhlmann:
Herr Radler, hier will Ihnen niemand was einreden. Wir halten uns lediglich an die Faktenlage und zwar so, wie sie sich anhand des Beweismaterials derzeit für uns darstellt.
Gab es denn eigentlich eine schriftliche Anweisung zur verstärkten Verhängung von Sanktionen?

Herr Radler (wieder ruhiger):
Nein, die gab es selbstverständlich nicht. Aber in den Teambesprechungen wurde uns von den Teamleitern immer wieder eingebläut, dass wir verantwortlich mit dem Geld der Steuerzahler umzugehen und folglich absolut jede Einsparmöglichkeit konsequent zu nutzen hätten. Tja, und wo war für uns das größte und am einfachsten zu verwirklichende Einsparpotential zu finden? Bei den Kunden nun mal! In diesen Besprechungen wurde uns jedenfalls mitgeteilt, wir könnten gemäß mündlicher Vorgabe von oben bei der Suche nach Einsparmöglichkeiten bei den Kunden gern auch etwas flexibler und pfiffiger vorgehen. Wir würden aber bestimmt schon verstehen, wie das gemeint sei. Wie sagte unser Teamleiter mal so schön? "Merkt Euch eines: Wer immer eifrig einspart, der darf bleiben und nur der oder die kommt hier auch in Zukunft beruflich weiter voran.".

SOK Wilke:
Es gab vor einigen Jahren ja durchaus auch mal die eine oder andere kritische Stimme aus Ihren eigenen Reihen bezüglich der Verfassungswidrigkeit bestimmter Teile des SGB II sowie dem allgemeinen Umgang etlicher Fallmanager mit den Kunden. Haben Sie damals davon denn nichts mit bekommen?

Herr Radler:
Ach, Sie meinen das da vor ungefähr 10 Jahren. Diese Hahnemann oder wie die noch mal hieß.

SOK Wilke:
Frau Hannemann, ja.

Herr Radler:
Ach die. Naja, die hat einfach nicht kapieren wollen, dass sie nun mal in erster Linie ihrem Arbeitgeber verpflichtet ist und eben nicht ihren Kunden. Die haben sie ja dann auch, ich glaube 2015 war das, für unzurechnungsfähig erklärt, weil sie ums verrecken keine Ruhe geben wollte, und in der Folge als gemeingefährlich in der `Geschlossenen´ weggesperrt. Aber nach der Wende im Frühjahr wurde sie wohl wieder umgehend auf freien Fuß gesetzt, wie ich gelesen habe. Tja, das kommt davon, wenn man meint, man müsse sich als Beschützerin der angeblich Entrechteten aufspielen und den falschen Leuten ans Bein pinkelt. Selbst schuld.

SHK Kuhlmann:
Sie haben sich also damals nicht mit Frau Hannemann und ihrem Anliegen solidarisch gefühlt?

Herr Radler:
Gott bewahre, nein! Ich war doch nicht bescheuert! Es war doch jedem von uns klar, dass diese Geschichte für die Hannemann kein gutes Ende nehmen würde. Wenn ich mich recht erinnere gab es für sie ja auch kaum Verständnis oder Unterstützung innerhalb des Kollegenkreises. Aber das ist doch auch völlig normal so. Wer will denn schon als Außenseiter da rumlaufen und von den Kollegen gemieden oder gar gemobbt werden?
Klar gab´s auch mal den einen oder anderen, der zwischendurch mal während der Kaffeepause Gedanken äußerte wie "Ist das alles wirklich so ganz richtig, was wir hier machen?". Aber das hat sich dann immer schnell wieder von alleine gelegt bei denen.
Außerdem war die große Mehrheit der Bevölkerung, also die öffentliche Meinung sag´ ich mal jetzt, bis vor ein paar Monaten ja voll und ganz für die Sanktionspraxis. Vielen davon waren wir sogar noch viel zu lasch, ja viel zu human. Sollten wir uns also damals außer gegen unseren Arbeitgeber auch noch gegen die Masse der Bevölkerung stellen? So dämlich kann ja wohl niemand sein, oder? Das eigene Hemd ist einem nun mal näher als der fremde Rock oder wie das heißt.

SHK Kuhlmann:
Herr Radler, wir wären dann jetzt am Ende unserer Befragung angelangt. Ich erkläre Ihnen hiermit Ihre vorläufige Festnahme wegen des dringenden Tatverdachts von mehrhundertfachen Grundrechtsverletzungen und Nötigungen sowie fahrlässiger Tötung in 11 Fällen. Herr Kruse, führen Sie Herrn Radler bitte in seine Zelle.

Herr Radler (springt auf, schreit):
Was? Das ist doch die reinste Willkür hier! Ich habe doch nichts Unrechtes getan!

SOK Wilke:
Das wird dann zu gegebener Zeit das für Ihren Fall zuständige Gericht entscheiden.

Herr Radler (wütend):
Gericht? Was heißt her Gericht? Ihr alle hier gehört vors Gericht, aber doch nicht unbescholtene Bürger!

POM Kruse (schiebt Herrn Radler Richtung Tür):
Herr Radler, machen Sie kein Theater und kommen Sie jetzt bitte mit.

Herr Radler (von der Tür her rufend):
Ich habe als anständiger und ehrlicher deutscher Staatsbürger doch nur meine Pflicht getan! Ist das neuerdings jetzt strafbar bei uns oder was?
(vom Flur herüberschallend): Das ist ein Skandal! Ich bin hier das Opfer und nicht der Täter! Wo sind wir hier eigentlich? In Deutschland? Oder in Hinter...(Rest nicht mehr zu verstehen).

Ende der Befragung: 11:12 Uhr

F.d.R.d.A.
gez.: Wilke, SOK

 


Sonntag, 11. August 2013

Die beliebten zwei Worte: "Mir egal!"

Man nehme versuchsweise mal ein Mikrofon in die eine und einen Kameramann an die andere Hand, lustwandle mit beiden durch die belebte Einkaufsmeile irgendwo in einer größeren deutschen Innenstadt, greife sich zwischendurch immer wieder mal jemanden aus der dahineilenden Menge und stelle ihr, ihm oder gleich beiden diese Frage: "Was halten Sie davon, wenn die Geschäfte zukünftig 24 Stunden, auch an Sonn- und Feiertagen, öffnen dürften?". Die mit deutlichem Abstand meisten Antwortmöglichkeiten hierauf reichen alters- als auch geschlechterübergreifend von "Wäre echt toll!" bis zu "Das fände ich suuuuper!".
Stellt man dann eine weitere Frage im Sinne von "Und was ist mit dem Verkaufspersonal? Das hätte dann ja noch weniger Zeit für ihr Familienleben als jetzt schon." schallt einem in der Regel ein "Mir egal" zurück. Nicht ganz so mundfaule Befragte stellen gelegentlich noch ein "Is´" vor das "mir". Regelrecht wortgewaltige Exemplare bringen sogar ein zusammenhängendes "Das ist mir, ehrlich gesagt, egal" zustande!
Manche fühlen sich auch bewogen, eine kurze Begründung nachzuschieben. Die hört sich dann so an: "Für mich ist eben wichtig, dass ich dann einfach immer shoppen gehen kann, wenn ich Lust dazu habe. Wäre doch Spitze, wenn man nach dem Discobesuch sonntagfrüh gleich in die Kaufhäuser gehen könnte.".
Gern genommen als weiterführende Erläuterung wird zudem "Die arbeiten doch alle freiwillig da, die zwingt doch keiner. Wenn´s denen nicht gefällt, dann können die ja kündigen.".

Hier haben wir ein schönes Beispiel für eine weitere Grundhaltung des Deutsch-Menschen gefunden: Alles für andere Unangenehme, von dem er selbst allerdings nicht unmittelbar betroffen ist bzw. von dem er meint, es beträfe ihn jetzt und auch in Zukunft nicht, sowie die von diesen Unannehmlichkeiten direkt berührten Menschen sind ihm einfach schnurz. Nicht ganz so mundfaule Schreiberlinge würden hinter "schnurz" übrigens noch ein "piepegal" anfügen.

Andere Angelegenheiten wiederum, die sich auf das Alltagsleben des Deutsch-Menschen ebenfalls nicht direkt auswirken, sind ihm seltsamerweise nicht egal. Bei den männlichen Vertretern wäre das z.B. die Fußball-Bundesliga. Oder mehr oder weniger im Kreis umher fahrende professionelle Automobilpiloten, speziell diejenigen deutscher Nation.
Bei den weiblichen Vertreterinnen hingegen wären das beispielsweise bevorzugt irgendwelche Royal Babies, Royal Weddings oder was eine gewisse Daniela Hundetaler wieder so anstellt. Für letzteres soll sich aber durchaus auch der eine oder andere maskuline Deutsch-Mensch interessieren.
Zum Ausgleich dafür ist der weibliche Deutsch-Mensch dann bei internationalen fußballerischen Großereignissen für 2 bis 4 Wochen fußballbegeistert. Das eben aber nur solange, wie die deutsche Elf im Turnier vertreten ist, versteht sich.

Was die Lebensumstände anderer Menschen angeht, so begegnet der Deutsch-Mensch auch diesen in der Regel mit einer gewissen Gleichgültigkeit. Wer wo unter welchen Bedingungen z.B. die von ihm als überzeugten Nicht-Nudisten benötigten Textilien fertigt, das geht ihm nun mal ebenfalls am Allerwertesten vorbei. Billig muss nun mal auch hier sein, egal welchen Preis die - oftmals sogar kindlichen - TextilienfertigerInnen dafür zahlen müssen.
Im Grunde genommen sind dem Deutsch-Menschen die Lebensverhältnisse derer, die außerhalb des Mittelpunkts seiner eigenen kleinen Welt leben, sowieso schnuppe. Er hat nun wahrlich nichts dagegen, dass die "High Society" in Saus und Braus lebt, auch wenn sie ihren Sause- und Brause-Lebensstandard nicht zuletzt auch ihm verdankt. Woher die letztlich ihre Kohle haben, auf welchen geraden oder krummen Touren das Vermögen zustande gekommen ist und wofür es verprasst wird, das juckt ihn halt nicht sonderlich.

Anders verhält es sich jedoch mit den zumeist unfreiwilligen BezieherInnen staatlicher Transferleistungen. Da ist es dem aufrechten Deutsch-Menschen ausnahmsweise nicht egal, wofür diese Bevölkerungsgruppe die paar Kröten verwendet, die ihr gerade so noch zugestanden wird. Er hat ein enorm wachsames Auge darauf, dass dieses Geld von den seiner Meinung nach "staatlich alimentierten Subjekten" ausschließlich für die wirklich absolut lebensnotwendigen Dinge verwendet wird. In Leserkommentaren sowie am Stammtisch wird er dabei nicht müde, bei diesen Menschen noch weiteres Einsparpotential zu entdecken. Und im austüfteln von Möglichkeiten, wie man "denen da" noch stärker "ordentlich Feuer unterm Arsch" und letzteren "mal richtig aufreißen" könne, ist sein Einfallsreichtum nicht minder beeindruckend. Ob als "Erfolg" solcher deutsch-menschlichen Vorschläge jemand noch mehr hungern, frieren oder seine altvertraute Wohnung verlassen muss, das ist so einem deutsch-menschlichen Vorschläger dann aber wieder egal.

Wir sehen also: Alles ist dem Deutsch-Menschen wohl doch nicht egal, zumindest nicht so ganz. Er setzt dabei halt nur bestimmte  Prioritäten. Und die oberste Priorität lautet "Was geht mich das Elend anderer Leute an?".
Sollte sich durch diesen Text nun jemand ggf. auf den Schlips oder die Füße getreten fühlen - klare Antwort darauf: Ein herzliches "Mir egal!"!











Donnerstag, 1. August 2013

Serie "Der große Kampf ums kleine Recht" - Folge 2: Der Sich-in-die-Einfahrt-Quetscher

Das der Deutsch-Mensch bei seinem unermüdlichen Kampf um sein "kleines gutes Recht" vor allem dann zu einer echten Kampfmaschine mutiert, wenn er in seinem fahrbaren Untersatz hockt, lässt sich an einem weiteren Beispiel aus dem täglich wahren Leben sehr schön erkennen.
Hier am Ort befindet sich mittendrin die Zweigstelle eines bekannten Billig-Einkaufsmarktes samt Kundenparkplatz. Die Parkplatzeinfahrt fungiert dabei gleichzeitig als Ausfahrt, ist allerdings für diese Doppelfunktion ein bisschen schmal geraten. Zwei durchschnittlich breite Mittelklasse-Pkw kommen bei schneefreier Witterung zwar knapp, aber immerhin noch halbwegs unproblematisch aneinander vorbei. Im Winter hingegen ist das mit der Unproblematik jedoch so eine Problematik für sich. Ebenso in der hiesig eher seltenen winterlosen Zeit, wenn zwei Exemplare ein wenig breiter geratene Fahrzeuge zeitgleich ein- und ausfahren möchten. In beiden Fällen wird dem interessierten Beobachter dann oftmals ein faszinierendes Schauspiel geboten. Der Einfahrer möchte - nein, er will und er muss - ja von einer vorfahrtberechtigten Straße her einfahren und somit muss er als rechtstreuer Bürger nun mal sein "gutes Recht" auch hier unnachgiebig durchsetzen.

Der Einfahrer sieht zwar durchaus, dass es eine verdammt enge Kiste werden wird, wenn er sich an dem ausfahrwilligen Fahrzeug vorbeiquetschen will. Aber weil er nun mal das Recht der alleinigen Vorfahrt genießt beginnt er nun erst recht, seinen Rechtsanspruch konsequent durchzuquetschen. Die Masse der Ausfahrwilligen setzt ja in der Regel unaufgefordert ein Stück zurück, um dem einfahrenden Rechtsinhaber die Zufahrt in die Weite des Parkplatzes zu ermöglichen - so es denn möglich ist. Haben sich nämlich hinter dem Ausfahrer bereits ein oder noch mehr Mitausfahrer versammelt, erweist sich das Zurücksetzen als recht schwierig bis gar nicht möglich. Manche Hinterleute können oder wollen halt nicht zurückweichen.
Das stört den rechtsbewussten Einfahrer jedoch herzlich wenig und so versucht er unverdrossen, sich an dem vorderen Ausfahrer irgendwie vorbeizuquetschen. Den Blick in schnellen Wechseln fest auf die eigene sowie die seitliche Karosserie des Kontrahenten gerichtet, geht es nun zentimeterweise voran und wenn´s noch nicht passen sollte wieder zurück, voran, zurück, usw., um auch noch den allerletzten Millimeter Freiraum zwischen den beiden Gefährten herauszuholen. Die Augen sind dabei weit aufgerissen und in die Stirne kräftige Falten gezogen. Bei manchen treten die Augen auch fast schon aus den Höhlen, sodass das in etwa wie bei Heino aussieht, nur mit ohne schwarze Barbara...äääh, Brille.

Während dieses Manövers ist es äußerst empfehlenswert, den gesamten Gesichtsbereich des derart Manövrierenden im beobachtenden Auge zu haben. Jener ist dabei nämlich heftig am grimassieren. Da werden die Backen mit Luft aufgepumpt, die Oberlippe weit über die untere geschoben oder beide Lippen breit über die vorderen Zähne samt angehängtem Zahnfleisch gefletscht. Einige wechseln auch munter zwischen diesen drei Varianten hin und her.
Bei den Lenkradkurbeleien, die mit solch einer Aktion zwangsläufig verbunden sind, ist auch häufig ein Kopfschütteln des Ausführenden zu erkennen. Und zudem kann man sehr oft klar sehen, dass der grimassierende Kurbler zwischendurch gern ein intensives Selbstgespräch führt, also auch noch am rumpupen ist.
Ein besonderes zusätzliches Schmankerl ist übrigens, wenn der Einfahrer als Chauffeur eines Wohnmobils oder Transporters im Einsatz ist. Da ist inhaltlich noch mal ein gewisser Extra-Thrill für den Beobachter gegeben.

Wenn das Chaos im Rückraum der Einfahrausfahrt irgendwann zu groß zu werden droht, dann geben die hinteren Mitausfahrer aber doch noch nach und setzen großzügigerweise ebenfalls zurück. Oder aber es geschieht ein wahres Wunder: Der Einfahrer sieht ein, dass es nichts wird, fährt zurück und tritt seinen Rechtsanspruch an den Ausfahrer ab! Ist zwar selten, aber auch schon vorgekommen.
Ich will ja nicht rumpupen, aber diese ganze zeit-, nerven- und kraftraubende Aktion könnte sich so ein rechtskämpferischer Einfahrer im Grunde genommen von vornherein ersparen. Ein kurzes, aber eindeutiges Handzeichen in Richtung Ausfahrer im Sinne von "Junge/Mädel, komm, fahr´ schnell raus", das würde bestimmt einiges vereinfachen. In maximal 3 bis 5 Sekunden wäre der Ausfahrer weg und der Einfahrwillige könnte bequem den Parkplatz befahren.  Tja, könnte...aber weil er hierbei auf sein "gutes Recht" verzichten müsste und sowas für ihn - zumindest zunächst - absolut nicht in Frage kommt, kurbelt und grimassiert er lieber minutenlang wild herum.

Sollte es einen "Orden wider der menschlichen Vernunft" geben - so ein Sich-in-die-Einfahrt-Quetscher wäre mit Sicherheit ein würdiger Ordensträgerkandidat...



Montag, 29. Juli 2013

Keine Lust heute...

Irgendwie habe ich heute keine Lust auf gar nichts. Auch nicht zum schreiben. Das hat aber absolut nichts mit allgemeiner Montagslustlosigkeit zu tun. Und da es mit derzeit 17 Grad Celsius als Außentemperatur nicht gerade heiß ist, scheidet Hitzeträgheit somit ebenfalls als Ausrede dafür aus. Es ist eben einfach so wie es ist: Ich habe keine Lust! Punkt bzw. Ausrufezeichen.
Eine besondere Erklärung hierfür kann ich beim besten Willen nicht liefern. Die einzige, die mir einfällt ist "Es gibt nun mal solche Tage".  Und ich denke mal, solche Tage kennt bestimmt jede(r) andere Mensch von sich selbst auch schon zur Genüge.

Dabei habe ich eigentlich gar keine Lust dazu, keine Lust zu haben. Außerdem müsste ich heute zumindest hier was schreiben. An getätigten Deutsch-Mensch-Beobachtungen mangelt es mir nun wahrlich nicht. Das vor mich hin tippselieren macht mir zudem großen Spaß, nur heute eben irgendwie nicht.
Ich könnte ja stattdessen im weiteren Tagesverlauf zum örtlichen Friedhof pilgern und den an anderer Stelle erwähnten ominösen, verloren gegangenen Grabstein suchen. Aber auch dazu habe ich heute keine Lust.

Die meisten Menschen meinen, dass man sich, wenn man Aufgaben zu erledigen hätte, auf die man eigentlich gar keine Lust hätte, dann eben dazu zwingen müsse. Was muss, das muss halt: Die Zähne herzhaft zusammenkneifen und die A....backen fest zusammenbeißen, dann geht das schon. Bei mir jedoch wirkt alles noch so kraftvolle zubeißen und -kneifen nicht. Wenn ich keine Lust habe, dann habe ich wirklich keine Lust, da hilft alles müssen und sich zwingen nichts! Und wenn ich was unter äußerem, erst recht aber unter selbst auferlegtem Zwang tun soll, dann  kommt in der Regel sowieso nichts Gescheites dabei raus. Also lass ich es an Tagen wie diesen besser gleich sein.

Die Masse der Deutsch-Menschen hat mit Sicherheit auch immer wieder mal nur recht wenig bis gar keine Lust auf das, was sie tun müssen. Nur geben sie das nicht zu, verstellen sich an solchen Tagen lieber und tun nach außen hin so als ob. Aber zu so einer Verstellung habe ich ebensowenig Lust wie zum schreiben oder zum auf geheimnisvolle Weise verschollene Grabsteine suchen - jedenfalls heute nicht.
Also nochmals der Hinweis an alle, die es immer noch nicht wissen sollten:

Ich habe heute keine Lust!

Ich danke für Ihr Verständnis!




Freitag, 26. Juli 2013

Unter Verdacht - der Brötchenholer nach Acht

Mittwoch letzter Woche, morgens ca. 08.10 Uhr in der Warteschlange an der Kasse eines örtlichen Discounters. Auf der Rückseite des sich Impotentmacher holen wollenden Schreibers dieser Zeilen stehen zwei Brötchenholer hintereinander. Brötchenholer A, allem Anschein nach Vorruheständler, bemerkt den ihm wohl persönlich bekannten Brötchenholer B und begrüßt ihn: "Nanu? Heute nich´ arbeiten?" (ohne "Guten Morgen" oder ein kurzes "Morg´n" vorweg). Der derart angesprochene Brötchenholer B: "Doch, Spätschicht." A: "Ach so...".
Dieses "Ach so..." klang fast schon erleichtert. Man konnte das unausgesprochene "Dann isses ja gut" förmlich heraushören. Ein "Das will ich auch stark hoffen" oder ein "Das will ich dir auch geraten haben" könnten aber ebenfalls in der besonderen Betonung dieses "Ach so..." mit enthalten gewesen sein.

Durch die Tatsache, dass sich ein noch im - ihm allgemein unterstellten - arbeitsfähigen Alter befindlicher Deutsch-Mensch zu einer Uhrzeit Brötchen holt, wo er vom Durchschnitts-Deutsch-Menschen eigentlich an seinem Arbeitsplatz erwartet wird, macht er sich also erst mal verdächtig. Er steht unter dem dringenden Tatverdacht, arbeitslos geworden zu sein. Erst wenn er auf Schichtdienst (oder ggf. Urlaub) verweist, entspannt sich der Fragesteller wieder. Sollte ein mit "Heute nich´ arbeiten?" Angesprochener nun "Nö, krankgeschrieben." erwidern, folgt darauf meist auch ein "Ach so...". Aus dessen eher skeptisch klingender Betonung ist dann aber oftmals ein "Na na, Freundchen, so krank siehst du mir aber nicht aus. Und wenn du noch Brötchen holen kannst, kann´s sowieso nicht allzu schlimm sein." heraus zu hören. In der allgemeinen Volksbeurteilung kommt man mit "krankfeiern" jedoch immer noch besser weg als mit dem Verlust des Arbeitsplatzes. Die größte Untat, die ein Deutsch-Mensch außerhalb des Bereichs "Straftaten" begehen kann, ist nun mal das abrutschen in die Arbeitslosigkeit. Und eben darum solche Fragen wie "Nanu? Heute nich´ arbeiten?". Schließlich muss der Deutsch-Mensch ja wissen, ob er mit einem ihm persönlich Bekannten weiterhin einen entspannten Umgang pflegen kann oder lieber nicht. Und ob er ihm zukünftig erst einen "Guten Morgen" wünschen und sich danach locker mit ihm unterhalten kann, natürlich auch.
Noch was für Hobbystatistiker: Die große Mehrheit der "Nanu? Heute nich´ arbeiten?"-Frager gehört dem ehrwürdigen Stand der Vor- und Ruheständler an, arbeitet also selbst nicht mehr.

Man merke sich folglich: Wer als "arbeitsfähig" erachteter Deutsch-Mensch morgens nach 8 Uhr Brötchen holt, macht sich bei seinen Mit-Deutsch-Menschen schon verdächtig...

Achtung - Bildausfall!

Eigentlich sollte an dieser Stelle ein Bild platziert sein. Uneigentlich ist hier aktuell aber leider keins zu sehen. Gestern nachmittag nämlich wollte ich auf dem hiesigen Provinzfriedhof ein Foto von einem Grabstein machen, auf dem dick, fett und unüberlesbar eingemeißelt "Leben ist Arbeit" steht. Dummerweise stand besagter Grabstein aber nicht mehr an der mir als erinnerlich vermeinten Stelle. Zwei Möglichkeiten hierfür: Entweder hat er, der Stein, sich aufgrund der auch hier herrschenden Hitzewelle eigenmächtig ein schattiges Plätzchen gesucht oder aber ich habe den genauen Standort schlicht und einfach vergessen. Persönlich tendiere ich jedoch zu erstaufgeführter Möglichkeit;-). Wie auch immer - ich bitte, diese technische Panne höflichst zu entschuldigen! 
Sobald ich diesen Stein wiedergefunden habe wird er umgehend nachgereicht - so ich denn dann meinen Fotoapparat nicht vergessen haben sollte!

Mittwoch, 24. Juli 2013

Serie "Der große Kampf ums kleine Recht" - Folge 1: Der Rumhuper

Am hiesigen südlichen Ortsausgang - wenn man von Süden kommt ist es übrigens der Ortseingang - befindet sich eine stark befahrene Kreuzung. Vier Straßen treffen hier aufeinander, aus jeder Himmelsrichtung eine.
Die Verkehrsführung inklusive Vorfahrtsregelung ist für den Erstbesucher dieser Kreuzung allerdings erst mal etwas irritierend.
Der Orts- sowie Kreuzungsunkundige achtet beim Herannahen sowieso erst mal auf die großen gelben Schilder mit den schwarzen Buchstaben und Pfeilen, an denen er sich zwangsläufig orientieren muss, damit er weiß, in welche Richtung er abzubiegen hat, um an sein gewünschtes Ziel zu gelangen. Wenn er das gemeistert hat, dann ist er in der Regel an den vorfahrtregelnden Verkehrszeichen bereits vorbeigefahren, ohne selbige überhaupt wahrgenommen zu haben.
Aber selbst wenn der Erstkreuzungsbefahrer jetzt weiß, wo er lang muss, wird es für ihn nicht zwingend einfacher. Auf der Fahrbahn sind nämlich nur zwei weiße Pfeile aufgemalt: Einer für Rechts- und einer für Linksabbieger. Die Pfeilspitze für den Geradeausfahrer sucht man hier vergeblich. Sollte so ein aus südlicher Richtung eintreffendes Kreuzungsgreenhorn also geradeaus fahren wollen bzw. müssen, dann weiß er eben nicht, ob er sich auf der Spur mit dem Linkspfeil oder auf der mit dem Rechtspfeil einordnen muss (Achtung - ein großes Geheimnis wird gelüftet: Es ist die mit dem Linkspfeil!). Die Frage, ob man hier nun als Geradeausfahrer trotzdem links blinken muss, ohne dann links abzubiegen, kann ich aber auch nicht beantworten. Dieses Frage sorgt selbst bei noch so altgedienten Kreuzungsbefahrern immer wieder für große Verwirrung.

Der Kreuzungsneuling tastet sich im Allgemeinen verunsichert und langsam an diese Kreuzung heran. Hat er sich dann eingeordnet, dann tastet er aber noch weiter, nämlich sich mitsamt seines Fahrzeugs behutsam über den Kreuzungsbereich, um versehentliche Zusammenstöße mit anderen Fahrzeugführern nach Möglichkeit zu vermeiden.
Und nun endlich betritt der Titelheld dieser Folge die Szenerie -Tusch TätärätäääBumm: Dem hinter so einem Herantaster befindlichen kreuzungskundigen Verkehrsteilnehmer dauert das alles nämlich viel zu lange und so drückt er kräftig auf die Hupe seines Vehikels. Wie die meisten Deutsch-Menschen hat er ebenfalls nun mal sowieso nur ganz ganz wenig bis gar keine Zeit und von letzterem zu allem Überfluss auch noch viel zu viel.
Zum Hupen allerdings schon, denn im Schnitt lässt er seine Hand schon mal gern bis zu 5 Sekunden oder länger auf dem Huptonauslöser ruhen. Manche bevorzugen aber auch mehrere kurze Hupstöße hintereinander. Hierbei entlarvt er sich jetzt als Unterart des Rumpupers - eben als der Rumhuper! "Pupen durch hupen" lautet die schlichte Devise für so einen Zeitgenossen.
Während des hupens bedient sich der eine oder andere Rumhuper zusätzlich noch seines Mundwerks zwecks unterstützenden verbalen rumpupens. Davon ist in den allermeisten Fällen akustisch jedoch nichts wahrnehmbar, weil nur selten was davon durch die geschlossenen Fahrzeugscheiben nach außen dringt. Der Gesichtsausdruck samt der deutlich erkennbaren Lippenbewegungen des Rumhupers sprechen aber eindeutig für so ein gleichzeitiges hupen und pupen.

Hat ein jungfräulicher Kreuzungsbenutzer diese für Ortsunkundige gewöhnungsbedürftige Verkehrsführung plus Vorfahrtsregelung falsch interpretiert, so wird er prompt erneut erbarmungslos zusammengehupt. Auch wenn er die Kreuzung schon halb überquert haben sollte - der eigentlich Vorfahrtsberechtigte wird nun zum Aushilfs-Rambo und gibt jetzt erst recht kräftig Gas, selbstverfreilich untermalt von einem länger anhaltenden Hupton. Denn nur er befindet sich ja schließlich im Vorfahrtsrecht und genau das muss  nun mal konsequent behauptet werden: "Scheiß-Touris, die denken wohl, sie hätten die Vorfahrt gepachtet! Sowas wollen wir hier gar nicht erst einführen!".
Bei so einer Aktion kommen die beteiligten Fahrzeuge oftmals gerade mal so eben noch in Millimeterarbeit aneinander vorbei. Es ist sowieso fast ein Wunder, dass es dabei nur recht selten zu Berührungen oder gar "richtigen" Kollisionen kommt. Der letzte eigenäugig wahrgenommene Vorfall dieser Art ereignete sich jedenfalls vor ungefähr 10 Wochen.
Ich kann leider nicht genau sagen, wie oft am Tag solche Huptöne im näheren Umkreis besagter Kreuzung zu vernehmen sind. Mit den durch gelegentlich dann doch im allerletzten Augenblick getätigten Vollbremsungen ausgelösten Quietschgeräuschen wollen wir gar nicht erst anfangen. Wenig ist das alles aber auf keinen Fall. Die umliegenden Kreuzungsanwohner dürften aus Gewöhnungsgründen diese Klänge aber mittlerweile wohl schon gar nicht mehr wahrnehmen.
Wenn ich mal ausreichend Langeweile haben sollte, dann stelle ich mich vielleicht mal so von morgens 7 bis abends 20 Uhr dort hin und führe eine entsprechende Strichliste. Eine für diesen Zweck ausreichende Menge Papier sollte ich dann aber schon dabei haben.

Nun könnte man meinen, der kreuzungskundige Verkehrsteilnehmer würde anhand des auf die weiter entfernte Herkunft seines Vordermanns verweisenden Kennzeichens im Voraus erahnen können, dass jener möglicherweise seine Schwierigkeiten mit dieser Kreuzung haben könnte. Nix da - so weit mitdenken ist absolut nicht drin! Und mit dem Verständnis für die eigentlich verständliche Unsicherheit so eines Kreuzungsfremdlings ist es somit auch nicht allzu weit her. Dann lieber pupen durch hupen. Oder besser gleich hup-pupen.

Verlassen wir nun diese wundersame Kreuzung und begeben uns weiter stadteinwärts. Auch hier stoßen wir immer wieder auf den einen oder anderen passionierten Rumhuper.
Steht z.B. auf unserer Fahrbahnseite ein Kfz, z.B. ein ausladender Lieferant, und wir meinen, bis der uns von weiter hinten entgegenkommende Wagen da ist sind wir schon lange an dem Hindernis vorbei, dann beschleunigt der Entgegenkommer nach dem Gewahren unseres Vorhabens mal eben kurz und kräftig. Und wenn er nah genug an uns herangekommen ist und wir schon halb an dem "Blockierer" vorbei gekommen sind, dann hupt er. Und im Innenraum seines Gefährts pupt er manchmal noch dazu.
Öffnen wir an einer stark befahrenen Straße zum aussteigen nur leicht die Fahrertür, so ist unser im Rückspiegel zuvor noch als ausreichend entfernt vermutete "Nachfolger" ebenfalls in Windeseile herangesaust und hupt. Das dann spätestens, wenn wir die Tür schon halb offen haben. Oder sogar  schon halb ausgestiegen sind.
Aber auch als FußgängerIn ist man vor Rumhupern nicht gefeit. Man steht zwecks Fahrbahnüberquerung so still vor sich hin, um zwecks beabsichtigter hurtiger Überquerung eine groß genug geratene Lücke zwischen den auf beiden Fahrbahnhälften dicht hintereinander klebenden Fahrzeugen zu erspähen und selbige umgehend auszunutzen. Bietet sich so eine Lücke dann tatsächlich an kann man gar nicht so schnell gucken, wie der eben noch weit genug entfernte vermeinte Mit-Verkehrsteilnehmer da ist: Passant auf der Fahrbahn erblickt, kraftvoll auf die Tube gedrückt - und dann gehupt. Dieses sehr gern gerade auch dann, wenn der Straßenüberquerer das gegenüberliegende Ziel bereits fast erreicht hat. Aber eben nur fast...
Ist diese Extrabeschleunigung in den vorgenannten Fällen nun einfach nur Bosheit? Oder schlicht Dummheit? Oder möchte so ein Zeitgenosse einfach nur die günstige Gelegenheit nutzen, um mal wieder die ordnungsgemäße Funktionstüchtigkeit seiner Hupe einschließlich korrekter Lautstärke überprüfen zu können?

Der Rumhuper ist weder auf eine bestimmte Altersgruppe noch auf ein bestimmtes Geschlecht zu reduzieren. Das rumhupen ist sozusagen alters- und geschlechterübergreifend.
Erst vorgestern wurde der Schreiber dieser Zeilen selbst angehupt. Allerdings nicht an jener ominösen Kreuzung, denn die kennt er als Einheimischer ja zur Genüge.
Mit einem mir kurzzeitig leihweise überlassenen Pkw wollte ich auf der örtlichen "Einkaufsstraße" rückwärts aus einer Parklücke auf die Fahrbahn zurücksetzen (Schrägaufstellung an Straße mit leichter Steigung). Rechts neben mir stand ein Transporter, der mir die Sicht auf die auf "meiner" Seite von rechts unten her nahenden Fahrzeuge verdeckte. Also gaaanz langsam Stückchen für Stückchen zurück gerollt, wie sich das gehört. Als "mein" Heck gerade so ein paar wenige Zentimeter hinter dem des Transporters vorragte konnte ich es laut und deutlich hören - das eindeutig mir geltende Geräusch, das von einer herzhaft-kraftvoll gedrückten Autohupe ausgeht! Bruchteile von Sekunden später rauschte auch schon die Verursacherin dieses Geräuschs denkbar knapp hinter mir bzw. dem Pkw-Heck durch - mit dabei noch immer eisern festgehaltener Hupe, versteht sich: Eine mit vermutlich wie gewohnt wenig Zeit ausgestattete, bei Blick in den Rückspiegel geschätzt in den Mittdreißigern befindliche, Verkehrsteilnehmerin. Nun könnte man annehmen, die gute Frau hätte vielleicht die Wahrscheinlichkeit, dass aus der Parklücke hinter dem Transporter- plötzlich und eventuell noch ein weiteres Kfz-Heck in Erscheinung treten könnte, mit ins Auge fassen können. Da sie jedoch auf dieser als 10km/h-Zone ausgewiesenen Fahrbahn deutlich schneller als mit der erlaubten Geschwindigkeit unterwegs war (schätzungsweise um die 50km/h), kann man sich so eine verwegene Annahme eh schenken. Von der Möglichkeit des kurz haltens und mich rauslassens reden wir besser gar nicht erst.
Ob diese Dame beim hupen zusätzlich verbal rumgepupt hat konnte ich wegen der Schnelle des Augenblicks vom Rückspiegel aus betrachtet aber nicht erkennen.

Wie wir an diesen Beispielen gesehen haben neigt der rechtsbewusste Deutsch-Mensch gerade im Straßenverkehr zu teils recht waghalsigen und fast schon actionfilmreifen Manövern, um sein "kleines" Recht durchzusetzen.
Und wenn das rumpupen hierzu allein nicht ausreicht, dann wird eben zusätzlich noch gehupt - oder umgekehrt...


Dienstag, 23. Juli 2013

Neue Serie: Der große Kampf ums kleine Recht

In den folgenden Ausgaben des Volks-Beobachters wollen wir uns zwischendurch immer mal wieder dem Deutsch-Menschen bei der täglichen energischen Durchsetzung seines - oftmals aber nur vermeintlich - "guten Rechts" widmen.

Im Allgemeinen ist der Deutsch-Mensch gar nicht mal so kleinlich, wenn es um seine "großen" Rechte geht. Das seit geraumer Zeit wesentliche Bestandteile seiner Grund-, Bürger- und Freiheitsrechte in verstärktem Maße eingeschränkt, ausgehebelt oder gar abgeschafft wurden bzw. werden, entlockt ihm z.B. lediglich ein gelangweiltes Achselzucken. Seine eigene kleine Welt soll und muss für ihn einfach sein und bleiben und von daher wäre für ihn jede nähere Beschäftigung mit seinen "großen" Rechten und deren Erhalt nur unnötig störend.
Ganz anders hingegen sieht das für den Deutsch-Menschen im normalen Alltag seiner einfachen kleinen Welt aus. Wenn er da auch nur im geringsten vermeint, irgend jemand wolle ihm ausgerechnet hier sein "gutes Recht" streitig machen,... auha. Da wird in ihm im Handumdrehen die Kämpfernatur geweckt, da wird er zum unerschrockenen Verteidiger des "kleinen" Rechts, nämlich seines als solches empfunden eigenen.
Ohne Rücksicht auf Verluste wird in so einem Fall mit Tunnelblick und harten Bandagen gekämpft und keinen einzigen Millimeter zurückgewichen. Unnachgiebig und von unnötigem Ballast wie Vernunft nunmehr vollständig befreit, fightet der Deutsch-Mensch um sein tägliches "kleines" Recht.

Ob am Gartenzaun, im Straßenverkehr, auf Parkplätzen, an der Kasse im Einkaufsmarkt, am Pfandautomaten - gerade hier spielen sich Tag für Tag immer wieder dramatische Szenen voller Action, Spannung und (ungewollter) Situationskomik ab, die den Zuschauer stets aufs Neue in ihren Bann zu ziehen vermögen.
Werden also auch Sie zum "Schlachtenbummler" und verpassen Sie daher auf gar keinen Fall unsere neue Serie "Der große Kampf ums kleine Recht" - demnächst auch auf Ihrem Monitor!